Aufgrund einer katastrophalen Wirtschaftslage in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts sah sich die Stadt Stuttgart gezwungen Mittel für die Anlage sogenannter Stadtrandsiedlungen zur Verfügung zu stellen, um erwerbslose Familien sozialpolitisch zu stabilisieren. So entstand dann nacheinander die Hoffeldsiedlung in Degerloch, die Steinhaldenfeldsiedlung, die Neuwirtshaussiedlung und zum Schluss die Wolfbuschsiedlung bei Weilimdorf. Die Auswahl der Familien, die als Siedler in Frage kamen, richtete sich nach einem strengen Auswahlverfahren. Die zukünftigen Siedler fanden in den errichteten Baukantinen lediglich Baupläne, Schaufeln, Spaten und Schubkarren vor. Nach harter Arbeit konnte dann ab Sommer 1934 stufenweise der Einzug der Siedler stattfinden. Die Stuttgarter Siedlungsgesellschaft hatte von Beginn an die Trägerschaft der Siedlungen, dazu gehörte auch die Vermittlung von Fachvorträgen und praktische Anleitung durch das Stuttgarter Gartenbauamts.
Einer der Grundgedanken war, dass jede Siedlerfamilie sich durch den Anbau von Obst und Gemüse sich größtenteils selbst versorgen konnte. Um dies in die Tat umzusetzen erhielten die Siedler die benötigten Werkzeuge und ein kleines „grünes Inventar“, bestehend aus 5 Bäumchen, verschiedenen Sträuchern und Stauden. Durch den gemeinschaftlichen Aufbau der Siedlung entstand eine tiefe Verbundenheit der Siedlungsfamilien, diese wird bis heute zum Beispiel in Neuwirtshaus weitergelebt.
Was genau ist eigentlich Erbbaurecht?
Im Vordergrund der harten Arbeit standen allerdings der Erwerb des Privatgebäudes und das Recht, dass das Gebäude des sogenannten Erbbauberechtigten auf dem städtischen Grundstück stehen darf. Das Grundstück verbleibt im Eigentum der Stadt Stuttgart, dem Erbbaurechtsgeber. Im Wesentlichen widerspricht das Erbbaurecht §94 BGB, der das Gebäude dem Grundstück als wesentlicher Bestandteil zuordnet, da dieses fest mit dem Grund und Boden verbunden ist. Geheilt wird dieser Umstand in dem das Erbbaurecht als ein grundstücksgleiches Recht definiert wurde, das bedeutet es ist einbeschränktes dingliches Recht an einem Grundstück, welches durch kraft Gesetzes den Grundstücken weitgehend gleich gestellt wird. Im Gegensatz zu einem Volleigentum wird bei Kauf eines Hauses, das im Erbbaurecht steht, zwei Grundbuchblätter angelegt, das eine für das Grundstück und das andere für das Gebäude, das sogenannte Erbbaugrundbuch. Hier wird die Teilung von Grundstück und Gebäude am deutlichsten sichtbar. Trotz allem ist das Erbbaurecht laut Bundesverfassungsgericht wirtschaftlich eigentumsähnlich, was für die Praxis bedeutet, dass die Erbbaurechtsberechtigten die gleichen Pflichten haben, wie ein Volleigentümer. Sie bezahlen den gleichen Satz der Grundsteuer, alle notwendigen Versicherungen, Erschließungskosten und private oder kommunale Abgaben.
Um beide Parteien zu schützen, ist die Bestellung eines Erbbaurechts nur über die Beurkundung eines notariellen Erbbaurechtsvertrags möglich. In diesem Vertrag werden die Bedingungen des Erbbaurechts geregelt. Wichtigster Bestandteil ist unter anderen die Laufzeit, läuft der Vertrag 60 oder 99 Jahre, kann erverlängert werden oder hat der Erbbauberechtige ein Vorkaufsrecht. Ein weiterer sehr wesentlicher Bestandteil ist die Regelung des Erbbauzinses. Für die Nutzung ist ein Entgelt (Erbbauzins) an den Erbbaurechtsgeber zu entrichten. Im Vertrag werden die Höhe und vor allem die Entwicklung der Anpassung geregelt. Die Stadt Stuttgart hat nach Aussage der Vorstandsvorsitzenden der Siedlungsgemeinschaft Neuwirtshaus einen sehr humanen Erbbauzins, der jahrelang stabil gehalten wurde. Im Allgemeinen kann man sagen, der Erbbauzins richtet sich nach dem marktüblichen Kapitalzins und die Anpassung dessen, richtet sich nach dem Verbraucherpreisindex des Statistischen Bundesamts.
Wenn der Vertrag ausläuft, wird keiner vor die Tür gesetzt
Die wichtigste aller Regelungen ist aber was passiert mit dem Haus nach Ablauf der Laufzeit. § 27 Abs. 2 des Erbbaurechts Gesetz regelt, dass der Erbbaurechtsgeber dem Erbbaurechtsnehmer mindestens ¾ des Verkehrswertes der Immobilie entschädigen muss, wenn das Erbbaurecht für Wohnbedürfnisse bestellt wurde. Bei Gewerbeimmobilien greifen andere Regelungen. Diese gesetzliche Regelung widerlegt ganz eindeutig das schlechte Image von Immobilien im Erbbaurecht. Leider geistert bis heute die weit verbreiteteMeinung, dass nach Ablauf des Vertrags einem danach das Haus weggenommen wird und man dafür auch noch bezahlen muss in Form des jährlichen Erbbauzinses. Wahrscheinlich kommt diese Abneigung aus der längst vergangenen Zeit der Erbpacht, in der die Pächter doppelt und dreifach bezahlen mussten, nur um ein Dach über dem Kopf zu haben.
Die Siedlungsgemeinschaft Neuwirtshaus
Heutzutage zeigt das Beispiel der Siedlungsgemeinschaft in Neuwirtshaus wie wichtig und notwendig vor allem für junge, kinderreiche Familien diese Form von Eigentumserwerb ist. Es ist eine sehr enge Gemeinschaft in Neuwirtshaus, direkt gegenüber der Großbaustelle des neuen Porschewerks. Von 305 Parteien sind 250 Mitglieder im Siedlungsverein. Es soll eine Gemeinschaft sein, in der jeder auf den anderen Acht gibt, wo Nachbarschaftshilfe großgeschrieben wird und Traditionen noch gelebt werden. Allerdings sagt Frau Adele Schmidt, Vorstand des Siedlungsvereins, dass man das auch mögen muss, wenn aufmerksame Nachbarn gleich feststellen, dass man mal einen Tag frei genommen hat. Anonymität gibt es in so einer kleinen Siedlung nicht. Natürlich will aber auch nicht jeder immer alles mitmachen, dass muss man auch nicht. Jeder darf sich so weit einbringen wie er das möchte, es besteht kein Zwang Mitglied im Verein zu werden, nur weil ein Gebäude in der Siedlung gekauft hat.
Die Siedlergemeinschaft Neuwirtshaus e.V. wie der Vereinrichtig heißt, fungiert heute teilweise wie ein Heimatverein. Die Organisation der verschiedenen Feierlichkeiten, sowie das Einsammeln des Sterbegeldes gehören ebenso zu den Aufgaben wie die jährliche Begehung der Siedlung mit den Mitarbeitern des Liegenschaftsamtes der Stadt Stuttgart. Hier wird zum einen begutachtet, ob die Vorgabe der Stadt eingehalten werden und zum anderen ob die Straßen, Gehwege und Erschließungsanlagen noch in Ordnung sind. Die Vorgabe der Stadt ist im Wesentlichen, dass die Siedler ihre Gärten pflegen und somit den Wert der Grundstücke, soweit es in ihrer Macht liegt, aufrecht zu halten. Die organisierten Feierlichkeiten, wie zum Beispiel das alljährliche Scheunenfest, zieht mittlerweile auch Anwohner aus den benachbarten Gemeinden an, sowie viele ehemalige Siedler, die immer wieder gerne vorbeischauen.
Die Auswahl der Erbbauberechtigten Familien
Eine weitere Aufgabe des Vorstandes ist es die Bewerbungen der Familien, die sich als Käufer einer Kleinsiedlerstelle bewerben, auszuwerten und eine Empfehlung auszusprechen. Das letzte Wort hat natürlich das Liegenschaftsamt der Stadt, aber zumindest kann Frau Schmid und Ihre Kollegenein bisschen Einfluss darauf nehmen, wer in die Siedlung einzieht. Die offiziellen Auswahlkriterien der Stadt Stuttgart sind momentan, dass es sich um möglichst junge Familie mit mehreren im Haushalt lebenden Kindern unter 14 Jahren handelt. Die Einkommensgrenze wird nach dem Landeswohnraumförderungsgesetz festgelegt und befindet sich Stand 2017 bei 68.240,00 Euro für einen 4-Personen Haushalt. Zusätzlich sollten die Familien bereits in Stuttgart leben und auch arbeiten. Die Familien müssen das Objekt eigenständig sanieren und auch selbst bewohnen.
Ganz wichtig für die Familien ist, dass ein Erbbaurecht nur bis 70% seines Gesamtwerts nach Umbau und Renovierung mit Grundpfandrechten belastet werden kann. Sowas muss von vornherein bei der Finanzierung beachtet werden. Auch dass die Reallast des Erbbaurechtes im ersten Rang im Grundbucheingetragen werden. Das ist wohl einer der größten Hürden für eine Finanzierung, denn die Banken mögen nicht gerne die Nummer zwei im Grundbuch sein. Allerdings dient diese Regelung der Beleihbarkeit des Erbbaurechts, denn durch die erste Rangstelle wird verhindert, dass das Erbbaurecht aufgrund einer Zwangsversteigerung erlischt.
Wie geht es weiter mit dem städtischen Erbbaurecht
Ein besonders heikles Thema ist natürlich die Laufzeit der Verträge. Bis 2007 war die Laufzeit bis 2040 begrenzt. Die Stadt Stuttgart hat mit den Siedlungsvorständen ausgearbeitet, dass sich die Erbbauberechtigten inden nächsten fünf Jahren zwischen folgenden drei Möglichkeiten entscheiden können: 1. Die Verträge, die 2040 auslaufen, einfach auslaufen lassen. 2. Die Verträge bis 2065 verlängern und 3. Den Grund und Boden zu einem je nach Lageplan festgesetzten Preis zu erwerben. Wie sich die einzelnen Siedlerentschieden haben, hängt sicherlich damit zusammen, ob es Kinder gibt und wenn ja, ob diese auch die Erbbauverträge erben möchten. Denn es ist möglich, dass die Erbbaurechtsverträge bis in die dritte Generation vererbt werden, wenn die Kinder und Kindeskinder das möchten. Meistens ist dies die einzige Möglichkeitfür die Kinder in ihre Heimat zurück zu kommen, denn selbst wenn man in der Kleinsiedlung aufgewachsen ist und ein gewachsenes soziales Umfeld nachweisen kann, muss man den Weg über das Bewerbungsverfahren gehen um ein Häuschen zuerwerben.
Dies ist einer der wenigen Nachteile, den Frau Schmid äußert. Sie fühlen sich in ihrer Kleinsiedlergemeinschaft sehr wohl, es ist wie eine Dorfgemeinschaft, aber trotzdem ist man in wenigen Minuten mitten in der Großstadt. Im täglichen Leben denken sie nicht so oft daran dass ihnen das Grundstück nicht gehört. Sie freuen sich über die Chance, die sie über das Erbbaurecht bekommen haben, Hauseigentümer zu sein, obwohl die finanziellen Verhältnisse es nicht vermuten ließen. Dem anstehenden Generationenwechsel wird positiv entgegengesehen, sie wollen versuchen die Traditionen und Bräuche aufrecht zuhalten, allerdings der heutigen Zeit angepasst.